"Materie an der Schwelle zur Form"
Laudatio von Prof. Dr. G. Hebbecker 1992, Villa
Berberich
"Natürlich
sprechen die Werke, wie immer, für sich. Aber gleichzeitig lösen sie Worte
aus, die geäußert werden können, die an sie zurückgegeben werden können und
dabei mitunter die Sichtweise des einen oder anderen Mitbetrachters streifen.
Lassen sie
mich auf einem kleinen Umweg bei Aristoteles beginnen. Dieser unterschied unter
den Ursachen vier verschiedene Arten:
· die
Materialursache
· die
Formalursache
· die
Wirkursache
· die
Zielursache.
Wir können
uns - im aristotelischen Beispiel - die Fertigung einer Silberschale vorstellen
und uns dabei die vier verschiedenen Komponenten verdeutlichen, die dazu
beitragen, daß das Ding schließlich zu dem wird, was es werden sollte: Der
Silberschmied prägt (als Wirkursache) dem Material die vorgefaßte Form ein im
Hinblick auf einen bestimmten Zweck (z.B. den kultischen Gebrauch). Die
Wirkursache wurde verstanden als das "Woher-der-Bewegung", als das
"Woher-der-Veränderung". Form und Materie bilden die beiden inneren
Ursachen eines Seienden und verbinden
sich miteinander derart, daß die Form der Materie eingeprägt wird, aufgeprägt
wird. Die Form bestimmt, "signiert" die Materie. Diese selbst
(griechisch: "hyle", was interessanterweise "Stoff",
"Materie", "Holz",
Wald"
gleichzeitig bedeutet) wurde gesehen als mehr und mehr passiv, als das gänzlich
Formlose, Unbestimmte, als ein in der Unbestimmtheit dem Nichts nahekommendes
unwesentliches Substrat.
Die Form,
welche der Materie das Gepräge verleiht, war vorhanden als Bild und Muster in
der Vorstellung des Künstlers bzw. Handwerkers. Die Frage nach der Herkunft der
Form richtete sich höchstens nach oben, zum Ideenhimmel, wandte sich aber
keineswegs der Materie zu, aus der die Form möglicherweise hervorgehen könnte.
Im Gefüge der vier Ursachen war in der aristotelisch-abendländischen Denkweise
der Vektor eindeutig von der Form zur Materie hin (und nicht umgekehrt)
eingestellt und festgemacht.
Was wir nun
in dieser Ausstellung sehen, ist die gegenläufige Frage, nicht theoretisch
formuliert, sondern der Anschauung unterbreitet: Wie bewegt sich die Materie,
das Material, auf die Form hin?
Diese Frage,
gegenläufig zur gewohnten Denkgeschichte, wird nicht nur gestellt. Sie ist
einem Bewußtsein aufgegeben, das die subjektiv-vorgreifende Formierung der
Dinge zu Objekten kritisch beleuchtet.
Die Arbeiten
von Michael Ott nun sprechen eine verhaltene, aber unüberhörbare Sprache, eine
Sprache, die mir sagt:
Das Material
ist das Bild. Das Substrat von Bildern ist selber Bild.
Das nicht
gemachte, sondern "geschöpfte" Papier offenbart sein Eigenleben in
Struktur und Farbigkeit.
Die
Intervention des Künstlers ist von äußerster Behutsamkeit. Das anfängliche
Sichhervortasten der Form wird begleitet und beobachtet, aber nicht manipuliert.
Materialität
wechselt bei diesem Vorgehen über in andere Materialität, transportiert sich
transformierend im gleichen Medium zu einer Andersheit, die nicht dem Kalkül
unterworfen ist, sondern sich der Geduld des nichts erwartenden Wartens ergibt.
Die Genese
des Papierbildes vermittelt die unendlich feinen Stufen zwischen Materie als Trägheit
und Materie als Träger von etwas, z.B. von Farbe, die aufgetragen wird.
Dem
Entstehungsvorgang der Papierblätter werden keine Zügel angelegt. Die Materie,
das Material galoppiert gelassen im eigenen Rythmus, in eigenen Aktionen und
Reaktionen. Der Künstler nimmt es dem Zusammenspiel von Gras, Hanf,
Farbpigmenten, Zellstoffteilen ab, daß es ein eigenes Resultat zeitigt.
Die Erde, im
Verbund mit dem Papier, darf machen, was sie möchte. Sie arbeitet mit, sie
bricht rauh auf, wo sie will, schafft glatte Felder, wo sie will. Der Untergrund
wird Erscheinung.
In
eingelegten, zum Material gehörenden Schnüren nimmt die Materie den Faden der
Form auf, geht sie der in ihr sich hervorhebenden Form nach.
Linienverläufe,
in sich geschlossen oder mit Anfang und Ende, zeichnen verästelt noch unerfüllte
Grundmuster ins Tafelfeld und über dessen ausfransenden Rand hinaus, Bänder,
die Welt einfangen können, auffangen können, aber nichts vom Gestus des
besitzergreifenden Lassos an sich haben.
Im Erspuren
und Erspüren der Form ent-deckt sich
die frühe Gestalt. Die Materie spricht ein erstes Wort. Ihre Sprache ist kein
vollständiger Satz, sondern der An-satz
zum Sprechen. Dieser Sprache des Materials wird vom Künstler enthaltsam, großzügig,
ernsthaft das Mitspracherecht eingeräumt. Die Einheitlichkeit des
Grundmaterials legt sich in der Fülle der Variationen umso deutlicher dar. Die
Entfaltung entfaltet ihren Grund mit. Sogar die ausdrückliche Farbgebung
scheint vom Papier nur toleriert zu sein (...).
(Auszug mit
freundl. Genehmigung)
Laudatio von
Thomas Matt
Galerie Schuhmacher in Überlingen - Ausstellung: Papiere und Druckgraphik
Ich freue
mich, Sie heute Abend bei der Eröffnung der Ausstellung "Papiere und
Druckgraphik" von Michael Ott begrüßen zu dürfen.
Dies ist für
mich eine besondere Freude, da ich Michael Ott nun schon 15 Jahre kenne und mit
ihm befreundet bin.
Während der
Vorbereitung zu dieser Rede wurde mir das besondere dieser Freundschaft einmal
mehr bewußt.
Um den
Menschen und damit auch den Künstler Michael Ott besser zu verstehen, habe ich
versucht, das Wesentliche dieser Freundschaft in Worte zu fassen. Ein kaum mögliches
Unterfangen, da eben dieses Wesentliche ohne die Sprache der Wörter auskommt.
Das Grundlegende ist das Auskommen ohne die Leichtlebigkeit der Worte.
Mitteilung entsteht im Sinne des Wortes " miteinander teilen", ohne
große Worte aber grundsätzlich. Sie kennen vielleicht das angenehme Gefühle
neben jemandem zu sitzen und sich ohne Gespräch wohlzufühlen.
Ruhe, Geduld
und eine besondere Wahrnehmungsgabe gehören dazu.
Damit wäre
ich nun auch bei den Wesenszügen, die den Künstler Michael Ott ausmachen.
Er Iäßt
seinen Arbeiten Zeit, sich zu entwickeln.
Im ursprünglichen
Sinn ist er "Jäger und Sammler", er erkennt das für ihn Wesentliche
und sammelt es in seinen Skizzenbüchern ein, ohne die Wesenszüge des
Gesammelten zu zerstören. Er präpariert seine Beute nicht, er Iäßt sie am
Leben.
Vorsichtig
schlägt er sie in Papier ein, jenem leichten, fragilen Medium, das sich kaum
dazu eignet, Gefängnis zu sein, wohl eher Nahrung für das Eingeschlagene.
Michael Ott
begnügt sich aber nicht damit, seine kostbare Beute in ein beliebiges Papier
einzupacken. In vielen, schweißtreibenden Arbeitsgängen stellt er dieses
selbst her. Schöpferisch ist diese Tätigkeit im wahrsten Sinne des Wortes.
Zellulose,
Pflanzenfasern, manchmal auch Pigmente oder Erden werden mit Wasser zu einem
Brei, einem Pulp, vermengt und mittels eines Siebes in Form gebracht.
Und nun möchte
ich Michael Ott selbst zitieren: "Das Schöpfen gleicht einem Ritual,
welches immer wieder nach denselben Regeln zelebriert wird. Für mich ist es
gleichzeitig eine Form der Meditation, die die Augen öffnet für die
Freiheiten, die diese Gesetze erlauben und ermöglichen. Die entstehenden, unberührten
Blätter bilden eine Projektionsfläche, eine Spielwiese für Gedanken und
Ideen."
Da sich mein
Atelier in unmittelbarer Nähe zur Bütte von Michael Ott befindet, bin ich oft
zumindest Ohrenzeuge dieses Prozesses:
ein ruhiges,
konzentriertes , sich wiederholendes , freundliches Plätschern. Längere
Ruhezeiten gibt es nur durch den Ablauf der Jahreszeiten, der die Bütte im
Winter zu einem zwei Kubikmeter großen Eiswürfel erstarren Iäßt.
Aber auch
sonst legt die Natur manchmal Hand an, z.B. durch ein Blatt, das vom großen
Ahornbaum über der Bütte in den Pulp fällt.
Überhaupt:
Papier? Was ist eigentlich Papier?
In
Erscheinung tritt Papier fast nur als Träger von Information in Form von
Schrift, Farbe und Formen auf ihm. Im Alltag ist Papier ein rein dienendes
Medium, daß hinter dem, was auf ihm steht, zurücktritt.
Aber, um ein
Sprichwort zu benützen: "Was steht zwischen den Zeilen" ... zwischen
den Zeilen steht das Papier und damit das Gefühl, die Interpretation.
In der Kunst
hat das Papier lange Zeit, bis zum 20.Jahrhundert, nur den Zweck, das Bild zu
tragen, einen optimalen Hintergrund zu liefern. Erst zu Beginn unseres
Jahrhunderts tritt Papier aus diesem Hintergrund und beginnt über die Anfänge
der Collage eigenständiges künstlerisches Medium zu werden.
Wie nützt
Michael Ott sein Medium, das Papier? Grundsätzlich lassen sich zwei Richtungen
unterscheiden:
1. Papier
als plastisch und farblich formbare Masse.
2. Papier
als Bildträger mit weitestgehendem eigenständigem Charakter.
Einige der
Arbeiten, die sie hier sehen haben ihren Ausgangspunkt in der Papiermasse. Der
Papierpulp wird mit der Hand aus einem Eimer auf ein Sieb aufgebracht und auch
die Hände geben dem Brei seine Form, wobei sich der Künstler dem Rhythmus des
Materials unterwirft; d.h.: er paßt sich der Eigenheit des Materials an und
korrespondiert
mit ihm.
Denn das Material zeigt seine Grenzen. Es fließt je nach Wasserzugabe
verschieden schnell, es kann reißen, ist beim Trocknen wetterabhängig. Der Künstler
spricht von der ca. eine Woche dauernden Trocknungsphase , als ein "Sich -
bewähren", als ein "Meditieren" der Arbeit selbst.
In diesen
Arbeiten ist Papier Form und Farbe gleichzeitig. Der Papierpulp Iäßt durch
seine Beschaffenheit vor allem großflächiges Arbeiten zu, aber auch ein
reliefhaftes Formen. Als zeichnerische Elemente verwendet Michael Ott Hanfschnüre,
Halme, Erde oder Holzstäbe.
Die Sprache
dieser Arbeiten ist eine einfache, archaische. Betrachten wir diese Arbeit
(Kleinteilige), so erkennen wir zuerst ein Gesamtes, das geprägt ist von Form
und Zwischenraum. Zeichenhaftes entsteht durch Reihung und korrespondiert
miteinander. Aber auch getrennt von einander sprechen die einzelnen Zeichen eine
Sprache, die in jedem schwingen kann: eine Grundsätzliche, Ursprüngliche.
Diese
Sprache findet sich auch in der zweiten angesprochenen Richtung, in der Michael
Ott das selbstgeschöpfte Papier als Bildträger verwendet.
Auch hier
sind Raum, bedruckter Raum, und Zwischenraum, Papieroberfläche, gleichwertige
Kommunikationspartner. Papier ist auch hier genau abgestimmtes Bildelement. Auch
hier beginnt die Arbeit an der Bütte, mit dem Schöpfen des speziellen Papiers.
Erst durch bestimmte Zuschlagstoffe wie z.B: Kokosfasern kann das Papier
graphische Vorgänge wie z.B: eine Schraffur in einer Zeichnung ersetzen oder
die Binnenstruktur einer gedruckten Form wie die des Büffels hervorheben.
Werfen wir
nun noch einen Blick auf die Malerei Michael Otts.
Der in den
Papierarbeiten bereits angesprochene Weg wird hier konsequent weiter verfolgt:
großflächige Formen in monochromem Charakter, tiefblau oder erdfarben ragen in
den Raum. Die fast architektonischen Figuren stehen nicht auf dem Boden , sie
streben in den Bildgrund und verändern ihn, so wie er sie veränderi.
Kommunikation,
ohne Worte, still aber grundsätzlich. Korrespondenz gleichberechtigter Partner.
Begeben Sie
sich nun auf die Entdeckungsreise in Michael Otts Werk. Korrespondieren Sie mit
den Farben und Formen. Es gibt viel zu entdecken und es lohnt sich.
Ich wünsche
Ihnen viel Freude dabei.
Thomas
Matt Lenzkircherweg 14, 79868 Feldberg-Falkau
Laudatio
von Sylvia Bohn
Ausstellung: Papier und Druckgrafik: „In der
Praxis“ (Dr. Neikes)
Es ist mir
eine Ehre und eine große Freude nun an diesem Ort einige Worte zu den Arbeiten
von Michael Ott zu sprechen. Es ist deshalb ein schöner und wichtiger
Augenblick für mich, da ich vor einigen Jahren, genauer gesagt 1991, die ersten
Berührungen zwischen Michael Ott und der mittlerweile ihn kennzeichnenden künstlerischen
Arbeit miterleben und mitleben konnte und ich bis heute mit großem Interesse
die weiteren Schritte beobachtet habe.
Viele von
ihnen haben sehr wahrscheinlich aufgrund der Einladungskarte heute abend hierher
gefunden. Nebenbei, kurz eingeschoben, aber deshalb nicht unwichtig, möchte ich
darauf hinweisen, dass Sie mit dieser Einladungskarte ein Original in Händen
halten und damit einen kleinen Repräsentanten der künstlerischen Arbeit, die
Sie hier in diesen Räumen sehen können. Der eigentliche Grund, warum ich auf
die Einladung zu sprechen komme, ist jedoch nicht ihr künstlerischer Wert,
sondern zwei Worte, die dort zu lesen sind: "Papier und Druckgrafik".
Was ist daran so ungewöhnlich, denken Sie jetzt vielleicht. Nun, die Grafik als
einen, neben Malerei und Plastik, großen Bereich der Kunst und somit auch die
Druckgrafik ist sicherlich jedem Kunstinteressierten ein vertrauter Begriff, der
sofort bestimmte Vorstellungen und Bilder wachrufen wird.
Aber was
bedeutet PAPIER! - Welche Assoziationen tauchen dabei auf? Papier, ein kaum mehr
bestaunter alltäglicher Gebrauchsgegenstand, aber auch ein kulturell
bedeutsamer Wissensvermittler und Informationsträger. Im Kunsthandwerk ein
beliebter Werkstoff. Und für die Kunst? Welche Bedeutung hat Papier in diesem
Bereich? In der Kunst hatte das Papier lange Zeit, bis zum 20. Jahrhundert, eine
untergeordnete Rolle inne. Papier in der Kunst war nur Mittel zum Zweck, Träger
anderer künstlerischer Medien und hatte als künstlerisches Gestaltungsmittel
keine Bedeutung. Papier als Bildträger war prinzipiell austauschbar. Doch zu
Beginn unseres Jahrhunderts wurde Papier erstmals, damals in der Collage, als künstlerische
Bildkomponente entdeckt. In den letzten Jahrzehnten fand eine Entwicklung statt,
in der Papier immer mehr selbst künstlerisches Medium wurde.
"So
wird Papier nicht nur als Träger anderer künstlerischer Medien benutzt,
sondern ist künstlerisches Medium, das aus sich selbst heraus bestehen kann,
das sich selbst reflektiert".
Vor diesem
Hintergrund müssen die Arbeiten von Michael Ott gesehen werden. Welche Rolle
genau spielt Papier hier?
In den
Arbeiten von Herrn Ott hat Papier zwei verschiedene Funktionen:
1. Papier
als Farbmasse
2. Papier
als Bildträger, jedoch nicht in seiner ursprünglichen dienenden,
untergeordneten Bestimmung.
Zuerst möchte
ich den Aspekt Papier als Farbmasse näher ins Auge fassen. Papier als
Farbmasse, als malerische Qualität, die ohne Bildträger präsentiert wird. Es
wird keine Farbe aufgetragen, sondern hier ist das Papier selbst die Farbe,
papierne Farbe, die für sich steht.
Kenneth
Noland gebrauchte als erster bedeutender Künstler in den 70iger Jahren den
farbigen Papierbrei wie Farbe. Er "malte" mit diesem Medium. Er selbst
beschrieb es folgendermaßen: " Papier herzustellen ist in gewisser Weise
direkter als Malen. Man kann seine Hände gebrauchen, ein Pinsel ist nicht
notwendig. Den farbigen Grund kann man gleich haben, Die Form kann während der
Fertigung bestimmt werden."
Das Arbeiten
mit nassem Papierpulp spricht gegen das traditionelle Konzept von Papier als
neutralem Grund.
Auch bei
Michael Ott finden viele Arbeiten ihren Ausgangspunkt in der Papiermasse. Der
Papierpulp wird mit der Hand aus einem Eimer auf ein Sieb aufgebracht und auch
die Hände geben dem Brei seine Form, wobei sich der Künstler dem Rhythmus des
Materials unterwirft; d.h.: Er passt sich der Eigenheit des Materials an und er
korrespondiert mit ihm. Denn das Material zeigt seine Grenzen. Es fließt je
nach Wasserzugabe verschieden schnell, es kann einreißen, ist beim Trocknen
wetterabhängig usw. Der Künstler spricht von der ca. eine Woche dauernden
Trocknungsphase, als ein "Sich-bewähren", als ein
"Meditieren" der Arbeit selbst.
Beim
Arbeiten mit Papierpulp lassen sich unendlich viele Möglichkeiten in den
unterschiedlichen Dimensionen entdecken. Michael Ott arbeitet zweidimensional,
in Anlehnung an die klassische Malerei, ist in seiner Gestaltung jedoch auf die
Möglichkeiten, die das Material ihm bietet, angewiesen. Der Papierpulp lässt
vor allem das großflächige Verarbeiten zu, weniger das Herausarbeiten feiner
Umrisse wie in einer zeichnerischen Abbildung. Will man zeichnerische Elemente
in die Arbeit einbeziehen, muss ein neues Medium eingebracht werden. Der Künstler
verwendet hierfür Hanfschnüre, Getreidehalme, Erde. Die Hanfschnur z.B. als
Linie entsprechend einer Bleistiftspur, die eine Zeichnung in bzw. auf das
Papier setzt.
Dabei achtet
der Künstler auch auf die Korrespondenz zwischen eingelegtem Material und
Papiersubstanz. So wird eine Hanfschnur in der Arbeit (Nr. ?) in ein Hanfpapier
eingelegt. Die der Papiermasse hinzugefügten Elemente sind alle der Natur
entnommen: Hanf, Getreide, Erde, Kokus, Pflanzenteile. Durch das Hinzufügen
verschiedener Naturelemente in den Papierbrei wird auch die haptische Qualität
der Arbeit stark beeinflußt. So fühlen sich Hanfpapiere sehr weich, andere
Papiere, in denen bestimmte Pflanzenteile verarbeitet wurden eher hart und rauh
an.
Der
haptischen Qualität kommt in den Arbeiten von Michael Ott eine große Bedeutung
zu. Deshalb werden diese meist ohne Glas ausgestellt. Berühren ist erlaubt. Bei
Papier kann die Oberflächenstruktur ganz bewußt gestaltet werden. Weich oder
hart, stark zerklüftet mit viel Binnenstruktur, oder wenig zerklüftet und
somit mit geringer Binnenstruktur. Für den Künstler ist es ein wichtiges Spiel
mit der Oberflächenstruktur. Bei den Arbeiten im Wartezimmer und der blauen
Arbeit im Treppenhaus lässt sich dieses Spielen leicht nachspüren.
Fragt man
nach der bildnerischen Aussage, nach den Inhalten, den Motiven, so folgt der Künstler
bei seiner Arbeit mit dem Papierbrei zwei unterschiedlichen Wegen. Geht er
einmal von einer bestimmten Idee aus, so tritt er ein anderes Mal hinter das
Papier zurück, beobachtet in einem nichts erwartenden Warten den
Entstehungsprozeß, tritt in einen Dialog mit den dem Material innewohnenden Möglichkeiten
und repektiert dessen Eigendynamik. Hierbei entstehen Arbeiten, die zu
Projektionsflächen eigener Gedanken, zu Spielwiesen individueller Assoziationen
für den Betrachter werden. Werfen wir hierzu einen Blick auf das rote Bild
hinter Glas im Flur. Sicherlich lädt es dazu ein, sich in wilde Spekulationen
über die Bedeutung, die dahinterstehende Aussage des Künstlers zu begeben. Für
viele mag es eine innere Zerrissenheit signalisieren, es mag für manche Zerstörung,
Durchdringung, für andere Verbundenheit bedeuten. Würden Sie es glauben, dass
dem Künstler bei seiner Arbeit ganz einfach der Papierbrei ausgegangen ist und
er sich im Dialog mit dem Material, diese neue Situation annehmend, auf einen
anderen Weg begeben hat. Die Arbeit also nur ein Produkt des Zufalls, eine Laune
des Materials? Ist es wichtig,dies zu wissen?
Geht der Künstler
von einer bestimmten Idee aus, so kann diese dennoch im Entstehungsprozeß
verworfen werden. Auch kann die ursprüngliche Idee des Künstlers vom
Betrachter später nicht mehr erkannt werden. So wurden die rote Arbeit mit
Figur im Wartezimmer und die blaue Arbeit im Treppenhaus von einer Zeichnung
ausgehend weiterentwickelt: Ein Rundbogen ist hier bis auf die äußere Form
abstrahiert. Die Genese als künstlerischer Prozeß ist wichtig für die
Bildaussage, zeigt sich jedoch für den Betrachter selten offenkundig. Der Weg
muss nicht zwingend verfolgt bzw. erkannt werden.
Papier als
Malerei nimmt also einen wichtigen Platz in der Arbeit von Michael Ott ein.
Jedoch, so der Künstler selbst, empfiehlt sich Papier ideal zum Drucken.
Papier
demnach doch auch als Bildträger? Ein Träger von Druckgrafiken, jedoch nie völlig
untergeordnet, sondern im Dialog mit der Bildaussage. In diesen Arbeiten fließt
das Papier immer auch zurück in die Arbeit selbst, da es ganz bestimmte
bildnerische Aussagen übernimmt. So ersetzt das Papier in einigen Arbeiten
einen grafischen Vorgang, z.B. die Schraffur in einer Zeichnung, durch seine
eigene Körperstruktur.
Beim Drucken
der Radierungen auf weißes Industriepapier würde eine entscheidene Bildaussage
fehlen. Hier steht zu Beginn das Papierschöpfen, also die Arbeit an der Bütte.
Für den Künstler ein wichtiger schöpferischer Prozeß. Es entstehen
Papiersorten, die unterschiedlich geeignet sind für die späteren Drucke.
Hierbei ist die Interaktion zwischen Papier und Motiv sehr wichtig, was sehr schön
bei der Arbeit Getreide in Ruhe und Getreide in Bewegung hier zu meiner Rechten
zu erkennen ist. Auch bei dieser Arbeit ist Papier Bildelement. Das Motiv steht
nicht vor dem, es tritt vielmehr in Dialog mit dem Papier.
So wie bei
den Materialbildern in den unteren Räumen auch das Material genausoviel zählt
wie das Motiv. Das Motiv ist in diesem Fall eine homogene Struktur. Die
Materialbilder sind sowohl eigenständige Arbeiten, als auch Studien.
Am Ende
meiner kleinen Einführung angekommen, bleibt zu sagen, dass alle Arbeiten von
Michael Ott gegenständlich sind und sie alle das zentrales Thema dieser
Ausstellung transportieren: PAPIER.
Schließen möchte ich mit einem Gedicht von Gerhart Hauptmann:
Das papierene Zeitalter
Ich
bin Papier, du bist Papier, Papier ist zwischen dir und mir,
Papier
der Himmel über dir, die Erde unter dir Papier. Willst du zu mir und ich zu
dir: hoch ist die Mauer von Papier!
Doch
endlich bist du dann bei mir, drückst dein Papier an mein Papier: so ruhen Herz
an Herzen wir!
Denn
auch die Liebe ist Papier und unser Haß ist auch Papier. Und zweimal zwei ist
nicht mehr vier,
ich
schwöre dir, es ist Papier.
Ich wünsche
Ihnen noch einen schönen Abend. Im Untergeschoss stehen Wein und kleine Häppchen
für Sie bereit. Die Ausstellung ist hiermit eröffnet. Vielen Dank!