"Materie an der Schwelle zur Form"

Laudatio von Prof. Dr. G. Hebbecker 1992, Villa Berberich  


"Natürlich sprechen die Werke, wie immer, für sich. Aber gleichzeitig lösen sie Worte aus, die geäußert werden können, die an sie zurückgegeben werden können und dabei mitunter die Sichtweise des einen oder anderen Mitbetrachters streifen.

Lassen sie mich auf einem kleinen Umweg bei Aristoteles beginnen. Dieser unterschied unter den Ursachen vier verschiedene Arten:

· die Materialursache

· die Formalursache

· die Wirkursache

· die Zielursache.

Wir können uns - im aristotelischen Beispiel - die Fertigung einer Silberschale vorstellen und uns dabei die vier verschiedenen Komponenten verdeutlichen, die dazu beitragen, daß das Ding schließlich zu dem wird, was es werden sollte: Der Silberschmied prägt (als Wirkursache) dem Material die vorgefaßte Form ein im Hinblick auf einen bestimmten Zweck (z.B. den kultischen Gebrauch). Die Wirkursache wurde verstanden als das "Woher-der-Bewegung", als das "Woher-der-Veränderung". Form und Materie bilden die beiden inneren Ursachen eines Seienden und  verbinden sich miteinander derart, daß die Form der Materie eingeprägt wird, aufgeprägt wird. Die Form bestimmt, "signiert" die Materie. Diese selbst (griechisch: "hyle", was interessanterweise "Stoff", "Materie", "Holz",

Wald" gleichzeitig bedeutet) wurde gesehen als mehr und mehr passiv, als das gänzlich Formlose, Unbestimmte, als ein in der Unbestimmtheit dem Nichts nahekommendes unwesentliches Substrat.

Die Form, welche der Materie das Gepräge verleiht, war vorhanden als Bild und Muster in der Vorstellung des Künstlers bzw. Handwerkers. Die Frage nach der Herkunft der Form richtete sich höchstens nach oben, zum Ideenhimmel, wandte sich aber keineswegs der Materie zu, aus der die Form möglicherweise hervorgehen könnte. Im Gefüge der vier Ursachen war in der aristotelisch-abendländischen Denkweise der Vektor eindeutig von der Form zur Materie hin (und nicht umgekehrt) eingestellt und festgemacht.

Was wir nun in dieser Ausstellung sehen, ist die gegenläufige Frage, nicht theoretisch formuliert, sondern der Anschauung unterbreitet: Wie bewegt sich die Materie, das Material, auf die Form hin?

Diese Frage, gegenläufig zur gewohnten Denkgeschichte, wird nicht nur gestellt. Sie ist einem Bewußtsein aufgegeben, das die subjektiv-vorgreifende Formierung der Dinge zu Objekten kritisch beleuchtet.

Die Arbeiten von Michael Ott nun sprechen eine verhaltene, aber unüberhörbare Sprache, eine Sprache, die mir sagt:

Das Material ist das Bild. Das Substrat von Bildern ist selber Bild.

Das nicht gemachte, sondern "geschöpfte" Papier offenbart sein Eigenleben in Struktur und Farbigkeit.

Die Intervention des Künstlers ist von äußerster Behutsamkeit. Das anfängliche Sichhervortasten der Form wird begleitet und beobachtet, aber nicht manipuliert.

Materialität wechselt bei diesem Vorgehen über in andere Materialität, transportiert sich transformierend im gleichen Medium zu einer Andersheit, die nicht dem Kalkül unterworfen ist, sondern sich der Geduld des nichts erwartenden Wartens ergibt.

Die Genese des Papierbildes vermittelt die unendlich feinen Stufen zwischen Materie als Trägheit und Materie als Träger von etwas, z.B. von Farbe, die aufgetragen wird.

Dem Entstehungsvorgang der Papierblätter werden keine Zügel angelegt. Die Materie, das Material galoppiert gelassen im eigenen Rythmus, in eigenen Aktionen und Reaktionen. Der Künstler nimmt es dem Zusammenspiel von Gras, Hanf, Farbpigmenten, Zellstoffteilen ab, daß es ein eigenes Resultat zeitigt.

Die Erde, im Verbund mit dem Papier, darf machen, was sie möchte. Sie arbeitet mit, sie bricht rauh auf, wo sie will, schafft glatte Felder, wo sie will. Der Untergrund wird Erscheinung.

In eingelegten, zum Material gehörenden Schnüren nimmt die Materie den Faden der Form auf, geht sie der in ihr sich hervorhebenden Form nach.

Linienverläufe, in sich geschlossen oder mit Anfang und Ende, zeichnen verästelt noch unerfüllte Grundmuster ins Tafelfeld und über dessen ausfransenden Rand hinaus, Bänder, die Welt einfangen können, auffangen können, aber nichts vom Gestus des besitzergreifenden Lassos an sich haben.

Im Erspuren und Erspüren der Form ent-deckt sich die frühe Gestalt. Die Materie spricht ein erstes Wort. Ihre Sprache ist kein vollständiger Satz, sondern der An-satz zum Sprechen. Dieser Sprache des Materials wird vom Künstler enthaltsam, großzügig, ernsthaft das Mitspracherecht eingeräumt. Die Einheitlichkeit des Grundmaterials legt sich in der Fülle der Variationen umso deutlicher dar. Die Entfaltung entfaltet ihren Grund mit. Sogar die ausdrückliche Farbgebung scheint vom Papier nur toleriert zu sein (...)."

(Auszug mit freundl. Genehmigung)  


Laudatio von Thomas Matt

 Galerie Schuhmacher in Überlingen - Ausstellung: Papiere und Druckgraphik


 Ich freue mich, Sie heute Abend bei der Eröffnung der Ausstellung "Papiere und Druckgraphik" von Michael Ott begrüßen zu dürfen.

Dies ist für mich eine besondere Freude, da ich Michael Ott nun schon 15 Jahre kenne und mit ihm befreundet bin.

Während der Vorbereitung zu dieser Rede wurde mir das besondere dieser Freundschaft einmal mehr bewußt.

Um den Menschen und damit auch den Künstler Michael Ott besser zu verstehen, habe ich versucht, das Wesentliche dieser Freundschaft in Worte zu fassen. Ein kaum mögliches Unterfangen, da eben dieses Wesentliche ohne die Sprache der Wörter auskommt. Das Grundlegende ist das Auskommen ohne die Leichtlebigkeit der Worte. Mitteilung entsteht im Sinne des Wortes " miteinander teilen", ohne große Worte aber grundsätzlich. Sie kennen vielleicht das angenehme Gefühle neben jemandem zu sitzen und sich ohne Gespräch wohlzufühlen.

Ruhe, Geduld und eine besondere Wahrnehmungsgabe gehören dazu.

Damit wäre ich nun auch bei den Wesenszügen, die den Künstler Michael Ott ausmachen.

Er Iäßt seinen Arbeiten Zeit, sich zu entwickeln.

Im ursprünglichen Sinn ist er "Jäger und Sammler", er erkennt das für ihn Wesentliche und sammelt es in seinen Skizzenbüchern ein, ohne die Wesenszüge des Gesammelten zu zerstören. Er präpariert seine Beute nicht, er Iäßt sie am Leben.

Vorsichtig schlägt er sie in Papier ein, jenem leichten, fragilen Medium, das sich kaum dazu eignet, Gefängnis zu sein, wohl eher Nahrung für das Eingeschlagene.

Michael Ott begnügt sich aber nicht damit, seine kostbare Beute in ein beliebiges Papier einzupacken. In vielen, schweißtreibenden Arbeitsgängen stellt er dieses selbst her. Schöpferisch ist diese Tätigkeit im wahrsten Sinne des Wortes.

Zellulose, Pflanzenfasern, manchmal auch Pigmente oder Erden werden mit Wasser zu einem Brei, einem Pulp, vermengt und mittels eines Siebes in Form gebracht.

Und nun möchte ich Michael Ott selbst zitieren: "Das Schöpfen gleicht einem Ritual, welches immer wieder nach denselben Regeln zelebriert wird. Für mich ist es gleichzeitig eine Form der Meditation, die die Augen öffnet für die Freiheiten, die diese Gesetze erlauben und ermöglichen. Die entstehenden, unberührten Blätter bilden eine Projektionsfläche, eine Spielwiese für Gedanken und Ideen."

Da sich mein Atelier in unmittelbarer Nähe zur Bütte von Michael Ott befindet, bin ich oft zumindest Ohrenzeuge dieses Prozesses:

ein ruhiges, konzentriertes , sich wiederholendes , freundliches Plätschern. Längere Ruhezeiten gibt es nur durch den Ablauf der Jahreszeiten, der die Bütte im Winter zu einem zwei Kubikmeter großen Eiswürfel erstarren Iäßt.

Aber auch sonst legt die Natur manchmal Hand an, z.B. durch ein Blatt, das vom großen Ahornbaum über der Bütte in den Pulp fällt.

Überhaupt: Papier? Was ist eigentlich Papier?

In Erscheinung tritt Papier fast nur als Träger von Information in Form von Schrift, Farbe und Formen auf ihm. Im Alltag ist Papier ein rein dienendes Medium, daß hinter dem, was auf ihm steht, zurücktritt.

Aber, um ein Sprichwort zu benützen: "Was steht zwischen den Zeilen" ... zwischen den Zeilen steht das Papier und damit das Gefühl, die Interpretation.

In der Kunst hat das Papier lange Zeit, bis zum 20.Jahrhundert, nur den Zweck, das Bild zu tragen, einen optimalen Hintergrund zu liefern. Erst zu Beginn unseres Jahrhunderts tritt Papier aus diesem Hintergrund und beginnt über die Anfänge der Collage eigenständiges künstlerisches Medium zu werden.

Wie nützt Michael Ott sein Medium, das Papier? Grundsätzlich lassen sich zwei Richtungen unterscheiden:

1. Papier als plastisch und farblich formbare Masse.

2. Papier als Bildträger mit weitestgehendem eigenständigem Charakter.

Einige der Arbeiten, die sie hier sehen haben ihren Ausgangspunkt in der Papiermasse. Der Papierpulp wird mit der Hand aus einem Eimer auf ein Sieb aufgebracht und auch die Hände geben dem Brei seine Form, wobei sich der Künstler dem Rhythmus des Materials unterwirft; d.h.: er paßt sich der Eigenheit des Materials an und korrespondiert

mit ihm. Denn das Material zeigt seine Grenzen. Es fließt je nach Wasserzugabe verschieden schnell, es kann reißen, ist beim Trocknen wetterabhängig. Der Künstler spricht von der ca. eine Woche dauernden Trocknungsphase , als ein "Sich - bewähren", als ein "Meditieren" der Arbeit selbst.

In diesen Arbeiten ist Papier Form und Farbe gleichzeitig. Der Papierpulp Iäßt durch seine Beschaffenheit vor allem großflächiges Arbeiten zu, aber auch ein reliefhaftes Formen. Als zeichnerische Elemente verwendet Michael Ott Hanfschnüre, Halme, Erde oder Holzstäbe.

Die Sprache dieser Arbeiten ist eine einfache, archaische. Betrachten wir diese Arbeit (Kleinteilige), so erkennen wir zuerst ein Gesamtes, das geprägt ist von Form und Zwischenraum. Zeichenhaftes entsteht durch Reihung und korrespondiert miteinander. Aber auch getrennt von einander sprechen die einzelnen Zeichen eine Sprache, die in jedem schwingen kann: eine Grundsätzliche, Ursprüngliche.

 

Diese Sprache findet sich auch in der zweiten angesprochenen Richtung, in der Michael Ott das selbstgeschöpfte Papier als Bildträger verwendet.

Auch hier sind Raum, bedruckter Raum, und Zwischenraum, Papieroberfläche, gleichwertige Kommunikationspartner. Papier ist auch hier genau abgestimmtes Bildelement. Auch hier beginnt die Arbeit an der Bütte, mit dem Schöpfen des speziellen Papiers. Erst durch bestimmte Zuschlagstoffe wie z.B: Kokosfasern kann das Papier graphische Vorgänge wie z.B: eine Schraffur in einer Zeichnung ersetzen oder die Binnenstruktur einer gedruckten Form wie die des Büffels hervorheben.

Werfen wir nun noch einen Blick auf die Malerei Michael Otts.

Der in den Papierarbeiten bereits angesprochene Weg wird hier konsequent weiter verfolgt: großflächige Formen in monochromem Charakter, tiefblau oder erdfarben ragen in den Raum. Die fast architektonischen Figuren stehen nicht auf dem Boden , sie streben in den Bildgrund und verändern ihn, so wie er sie veränderi.

Kommunikation, ohne Worte, still aber grundsätzlich. Korrespondenz gleichberechtigter Partner.

Begeben Sie sich nun auf die Entdeckungsreise in Michael Otts Werk. Korrespondieren Sie mit den Farben und Formen. Es gibt viel zu entdecken und es lohnt sich.

Ich wünsche Ihnen viel Freude dabei.

Thomas Matt Lenzkircherweg 14, 79868 Feldberg-Falkau


Laudatio von Sylvia Bohn

Ausstellung: Papier und Druckgrafik: „In der Praxis“ (Dr. Neikes)
(Ausstellungsreihe des BBK Südbaden)


Es ist mir eine Ehre und eine große Freude nun an diesem Ort einige Worte zu den Arbeiten von Michael Ott zu sprechen. Es ist deshalb ein schöner und wichtiger Augenblick für mich, da ich vor einigen Jahren, genauer gesagt 1991, die ersten Berührungen zwischen Michael Ott und der mittlerweile ihn kennzeichnenden künstlerischen Arbeit miterleben und mitleben konnte und ich bis heute mit großem Interesse die weiteren Schritte beobachtet habe.

Viele von ihnen haben sehr wahrscheinlich aufgrund der Einladungskarte heute abend hierher gefunden. Nebenbei, kurz eingeschoben, aber deshalb nicht unwichtig, möchte ich darauf hinweisen, dass Sie mit dieser Einladungskarte ein Original in Händen halten und damit einen kleinen Repräsentanten der künstlerischen Arbeit, die Sie hier in diesen Räumen sehen können. Der eigentliche Grund, warum ich auf die Einladung zu sprechen komme, ist jedoch nicht ihr künstlerischer Wert, sondern zwei Worte, die dort zu lesen sind: "Papier und Druckgrafik". Was ist daran so ungewöhnlich, denken Sie jetzt vielleicht. Nun, die Grafik als einen, neben Malerei und Plastik, großen Bereich der Kunst und somit auch die Druckgrafik ist sicherlich jedem Kunstinteressierten ein vertrauter Begriff, der sofort bestimmte Vorstellungen und Bilder wachrufen wird.

Aber was bedeutet PAPIER! - Welche Assoziationen tauchen dabei auf? Papier, ein kaum mehr bestaunter alltäglicher Gebrauchsgegenstand, aber auch ein kulturell bedeutsamer Wissensvermittler und Informationsträger. Im Kunsthandwerk ein beliebter Werkstoff. Und für die Kunst? Welche Bedeutung hat Papier in diesem Bereich? In der Kunst hatte das Papier lange Zeit, bis zum 20. Jahrhundert, eine untergeordnete Rolle inne. Papier in der Kunst war nur Mittel zum Zweck, Träger anderer künstlerischer Medien und hatte als künstlerisches Gestaltungsmittel keine Bedeutung. Papier als Bildträger war prinzipiell austauschbar. Doch zu Beginn unseres Jahrhunderts wurde Papier erstmals, damals in der Collage, als künstlerische Bildkomponente entdeckt. In den letzten Jahrzehnten fand eine Entwicklung statt, in der Papier immer mehr selbst künstlerisches Medium wurde.

"So wird Papier nicht nur als Träger anderer künstlerischer Medien benutzt, sondern ist künstlerisches Medium, das aus sich selbst heraus bestehen kann, das sich selbst reflektiert".

Vor diesem Hintergrund müssen die Arbeiten von Michael Ott gesehen werden. Welche Rolle genau spielt Papier hier?

In den Arbeiten von Herrn Ott hat Papier zwei verschiedene Funktionen:

1. Papier als Farbmasse

2. Papier als Bildträger, jedoch nicht in seiner ursprünglichen dienenden, untergeordneten Bestimmung.

Zuerst möchte ich den Aspekt Papier als Farbmasse näher ins Auge fassen. Papier als Farbmasse, als malerische Qualität, die ohne Bildträger präsentiert wird. Es wird keine Farbe aufgetragen, sondern hier ist das Papier selbst die Farbe, papierne Farbe, die für sich steht.

Kenneth Noland gebrauchte als erster bedeutender Künstler in den 70iger Jahren den farbigen Papierbrei wie Farbe. Er "malte" mit diesem Medium. Er selbst beschrieb es folgendermaßen: " Papier herzustellen ist in gewisser Weise direkter als Malen. Man kann seine Hände gebrauchen, ein Pinsel ist nicht notwendig. Den farbigen Grund kann man gleich haben, Die Form kann während der Fertigung bestimmt werden."

Das Arbeiten mit nassem Papierpulp spricht gegen das traditionelle Konzept von Papier als neutralem Grund.

Auch bei Michael Ott finden viele Arbeiten ihren Ausgangspunkt in der Papiermasse. Der Papierpulp wird mit der Hand aus einem Eimer auf ein Sieb aufgebracht und auch die Hände geben dem Brei seine Form, wobei sich der Künstler dem Rhythmus des Materials unterwirft; d.h.: Er passt sich der Eigenheit des Materials an und er korrespondiert mit ihm. Denn das Material zeigt seine Grenzen. Es fließt je nach Wasserzugabe verschieden schnell, es kann einreißen, ist beim Trocknen wetterabhängig usw. Der Künstler spricht von der ca. eine Woche dauernden Trocknungsphase, als ein "Sich-bewähren", als ein "Meditieren" der Arbeit selbst.

Beim Arbeiten mit Papierpulp lassen sich unendlich viele Möglichkeiten in den unterschiedlichen Dimensionen entdecken. Michael Ott arbeitet zweidimensional, in Anlehnung an die klassische Malerei, ist in seiner Gestaltung jedoch auf die Möglichkeiten, die das Material ihm bietet, angewiesen. Der Papierpulp lässt vor allem das großflächige Verarbeiten zu, weniger das Herausarbeiten feiner Umrisse wie in einer zeichnerischen Abbildung. Will man zeichnerische Elemente in die Arbeit einbeziehen, muss ein neues Medium eingebracht werden. Der Künstler verwendet hierfür Hanfschnüre, Getreidehalme, Erde. Die Hanfschnur z.B. als Linie entsprechend einer Bleistiftspur, die eine Zeichnung in bzw. auf das Papier setzt.

Dabei achtet der Künstler auch auf die Korrespondenz zwischen eingelegtem Material und Papiersubstanz. So wird eine Hanfschnur in der Arbeit (Nr. ?) in ein Hanfpapier eingelegt. Die der Papiermasse hinzugefügten Elemente sind alle der Natur entnommen: Hanf, Getreide, Erde, Kokus, Pflanzenteile. Durch das Hinzufügen verschiedener Naturelemente in den Papierbrei wird auch die haptische Qualität der Arbeit stark beeinflußt. So fühlen sich Hanfpapiere sehr weich, andere Papiere, in denen bestimmte Pflanzenteile verarbeitet wurden eher hart und rauh an.

Der haptischen Qualität kommt in den Arbeiten von Michael Ott eine große Bedeutung zu. Deshalb werden diese meist ohne Glas ausgestellt. Berühren ist erlaubt. Bei Papier kann die Oberflächenstruktur ganz bewußt gestaltet werden. Weich oder hart, stark zerklüftet mit viel Binnenstruktur, oder wenig zerklüftet und somit mit geringer Binnenstruktur. Für den Künstler ist es ein wichtiges Spiel mit der Oberflächenstruktur. Bei den Arbeiten im Wartezimmer und der blauen Arbeit im Treppenhaus lässt sich dieses Spielen leicht nachspüren.

Fragt man nach der bildnerischen Aussage, nach den Inhalten, den Motiven, so folgt der Künstler bei seiner Arbeit mit dem Papierbrei zwei unterschiedlichen Wegen. Geht er einmal von einer bestimmten Idee aus, so tritt er ein anderes Mal hinter das Papier zurück, beobachtet in einem nichts erwartenden Warten den Entstehungsprozeß, tritt in einen Dialog mit den dem Material innewohnenden Möglichkeiten und repektiert dessen Eigendynamik. Hierbei entstehen Arbeiten, die zu Projektionsflächen eigener Gedanken, zu Spielwiesen individueller Assoziationen für den Betrachter werden. Werfen wir hierzu einen Blick auf das rote Bild hinter Glas im Flur. Sicherlich lädt es dazu ein, sich in wilde Spekulationen über die Bedeutung, die dahinterstehende Aussage des Künstlers zu begeben. Für viele mag es eine innere Zerrissenheit signalisieren, es mag für manche Zerstörung, Durchdringung, für andere Verbundenheit bedeuten. Würden Sie es glauben, dass dem Künstler bei seiner Arbeit ganz einfach der Papierbrei ausgegangen ist und er sich im Dialog mit dem Material, diese neue Situation annehmend, auf einen anderen Weg begeben hat. Die Arbeit also nur ein Produkt des Zufalls, eine Laune des Materials? Ist es wichtig,dies zu wissen?

Geht der Künstler von einer bestimmten Idee aus, so kann diese dennoch im Entstehungsprozeß verworfen werden. Auch kann die ursprüngliche Idee des Künstlers vom Betrachter später nicht mehr erkannt werden. So wurden die rote Arbeit mit Figur im Wartezimmer und die blaue Arbeit im Treppenhaus von einer Zeichnung ausgehend weiterentwickelt: Ein Rundbogen ist hier bis auf die äußere Form abstrahiert. Die Genese als künstlerischer Prozeß ist wichtig für die Bildaussage, zeigt sich jedoch für den Betrachter selten offenkundig. Der Weg muss nicht zwingend verfolgt bzw. erkannt werden.

Papier als Malerei nimmt also einen wichtigen Platz in der Arbeit von Michael Ott ein. Jedoch, so der Künstler selbst, empfiehlt sich Papier ideal zum Drucken.

Papier demnach doch auch als Bildträger? Ein Träger von Druckgrafiken, jedoch nie völlig untergeordnet, sondern im Dialog mit der Bildaussage. In diesen Arbeiten fließt das Papier immer auch zurück in die Arbeit selbst, da es ganz bestimmte bildnerische Aussagen übernimmt. So ersetzt das Papier in einigen Arbeiten einen grafischen Vorgang, z.B. die Schraffur in einer Zeichnung, durch seine eigene Körperstruktur.

Beim Drucken der Radierungen auf weißes Industriepapier würde eine entscheidene Bildaussage fehlen. Hier steht zu Beginn das Papierschöpfen, also die Arbeit an der Bütte. Für den Künstler ein wichtiger schöpferischer Prozeß. Es entstehen Papiersorten, die unterschiedlich geeignet sind für die späteren Drucke. Hierbei ist die Interaktion zwischen Papier und Motiv sehr wichtig, was sehr schön bei der Arbeit Getreide in Ruhe und Getreide in Bewegung hier zu meiner Rechten zu erkennen ist. Auch bei dieser Arbeit ist Papier Bildelement. Das Motiv steht nicht vor dem, es tritt vielmehr in Dialog mit dem Papier.

So wie bei den Materialbildern in den unteren Räumen auch das Material genausoviel zählt wie das Motiv. Das Motiv ist in diesem Fall eine homogene Struktur. Die Materialbilder sind sowohl eigenständige Arbeiten, als auch Studien.

Am Ende meiner kleinen Einführung angekommen, bleibt zu sagen, dass alle Arbeiten von Michael Ott gegenständlich sind und sie alle das zentrales Thema dieser Ausstellung transportieren: PAPIER.

Schließen möchte ich mit einem Gedicht von Gerhart Hauptmann:

 

Das papierene Zeitalter

Ich bin Papier, du bist Papier, Papier ist zwischen dir und mir,

Papier der Himmel über dir, die Erde unter dir Papier. Willst du zu mir und ich zu dir: hoch ist die Mauer von Papier!

Doch endlich bist du dann bei mir, drückst dein Papier an mein Papier: so ruhen Herz an Herzen wir!

Denn auch die Liebe ist Papier und unser Haß ist auch Papier. Und zweimal zwei ist nicht mehr vier,

ich schwöre dir, es ist Papier.

 

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. Im Untergeschoss stehen Wein und kleine Häppchen für Sie bereit. Die Ausstellung ist hiermit eröffnet. Vielen Dank!